Torben Schiffer – ein Wissenschaftler polarisiert

Torben Schiffer – ein Wissenschaftler polarisiert

Der an der Uni Würzburg unter Prof. Jürgen Tautz arbeitende und forschende Torben Schiffer ist derzeit durch seine Aussagen in Vorträgen und öffentlichen Medien in aller Munde. Manche von uns haben seinen Vortrag in Hohenems am 03. Mai 2019 noch in lebhafter Erinnerung. Auch in Fernsehsendungen, Büchern und Zeitungsartikeln können seine Gedanken verfolgt werden. Schiffer hält die derzeitige Bienenhaltung für unnatürlich und krankheitsfördernd.

Anbei einige Kernsätze aus seinen „Erkenntnissen“:

  • Die herkömmlichen Magazinbeuten (Kisten) sind denkbar ungünstig als Lebensraum für die Bienen. Ihre Geometrie, ihre Größe und die fehlende Isolierung führen dazu, dass die Bienen ein Zehnfaches an Energie für die Wärmebereitung benötigen im Vergleich zu Naturvölkern im hohlen Baum.
  • Imker betreiben eine manipulative Massentierhaltung. Ihre Haltungsformen sind nicht artgerecht, weder in der konventionellen Imkerei noch in der Bioimkerei.
  • Wildbienen leiden unter den Honigbienen. Durch den großen Nektarverbrauch der Honigbienenvölker bleibt nicht mehr genug für die Wildbienen übrig.
  • Durch Zucht haben wir die Bienen auf eine unnatürliche Weise verändert und ihre Überlebensfähigkeit „wegselektiert“.
  • Imkerliche Maßnahmen wie z.B. das Abdrücken einer Königin sind abzulehnen.
  • Wilde Bienenvölker haben kein Problem mit Varroamilben. Sie leben in Symbiose mit dem Bücherskorpion und beherrschen die Technik des grooming (Putzen und Entfernen der Varroamilben durch andere Bienen). Durch natürliche Selektion überleben nur die angepassten Kolonien, die anderen sterben. Über Schwärme vermehren sich die Bienenvölker so stark, dass sie den Verlust wieder ausgleichen können.
  • Eine artgerechte Bienenhaltung und eine Bienenhaltung ohne Varroabekämpfung ist nur im natürlichen Habitat der Honigbienen, im hohlen Baum oder im von Schiffer entwickelten „Schiffertree“ möglich. Imker, die eine artgerechte Bienenhaltung betreiben wollen, sollen ihre Bienen im Schiffertree halten.

Solche Aussagen sind für mich als leidenschaftlicher Imker schwer verdaulich und haben mich nachdenklich gemacht. Ich hatte seit ich Bienen halte – und das sind immerhin fast 40 Jahre – immer das Gefühl, mit meiner Bienenhaltung die Bedürfnisse der Bienen zu beachten und dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Also habe ich mich mit den Aussagen Schiffers auseinandergesetzt, Untersuchungen und wissenschaftliche Artikel gelesen und dabei immer mehr den Eindruck bekommen, dass es Schiffer mit seinen Aussagen weit mehr um die öffentliche Aufmerksamkeit geht als um eine objektive Darstellung.

Schiffer erwähnt, dass er mit seinen Aussagen niemanden angreifen möchte, er beschreibe nur wissenschaftliche Fakten. Wenn man seine Ausführungen aber genauer recherchiert, merkt man, dass viele seiner „Fakten“ entweder einseitig oder übertrieben dargestellt oder auch gar nicht zutreffend sind, gewissermaßen „alternative Fakten“.

Ich möchte hier die oben angeführten Punkte aus meiner Sicht darstellen.

Magazinbeuten
  1. Die herkömmlichen Magazinbeuten sind ungeeignet als Lebensraum für die Bienen, denn sie brauchen zehnmal mehr Heizenergie als in einer Höhle im Baum:
    Schiffer hat in seinem Vortrag in Hohenems ausgeführt, dass ein Bienenvolk in einer Magazinbeute im Jahr bis zu 300 kg Honig (das ist kein Schreibfehler!) nur fürs Heizen benötige. An anderer Stelle spricht er wieder von 300 kg Honig für den Gesamtenergiebedarf. Sein Doktorvater Jürgen Tautz und andere seriöse Wissenschaftler kommen auf 300 kg Nektar, das sind etwa 100 kg Honig Gesamtenergiebedarf pro Jahr. Mit Gesamtenergiebedarf ist aber weit mehr als das Heizen gemeint: Brut pflegen und füttern, Wabenbau, Trachtflüge der Flugbienen und andere Tätigkeiten erfordern einen großen Teil dieser Energie. Wer Bienenvölker auf Stockwaagen hält, der weiß, dass im Winter bei Brutfreiheit pro Monat nur etwa ein Kilogramm Honig an Heizenergie verbraucht wird, das entspricht 3,3 Dekagramm am Tag.

    In seinen Versuchen hat Schiffer eine Heizquelle in nicht isolierte Magazinbeuten, den Schiffertree und andere Behausungen gestellt, um den Wärmeverlust zu messen. Der Wärmeverlust war in einer leeren Holzbeute zehnmal so groß wie im Schiffertree. Was er dabei übersehen hat: Die Bienen isolieren vorwiegend mit den Waben und mit ihren Körpern, mit denen sie die Wabengassen abschließen. Eine trockene, luftgefüllte und leere Wabe hat einen weit größeren Isolationseffekt als Holz. Die langen Waben in modernen Beuten machen es den Bienen auch in Längsrichtung durch eine Pufferzone leichter, die Kältereize abzuschwächen. Die Außenseite der Randwaben und auch die äußeren Zellen in Längsrichtung der Waben werden als Puffer verwendet und vom Honig/Winterfutter befreit. Die österreichischen Bienenwissenschaftler Dr.Bretschko/Dr. Moosbeckhofer beschreiben diesen Sachverhalt verständlich in ihrem Buch „Naturgemäße Bienenzucht“ im Kapitel über den Wärmehaushalt. Außerdem – wie könnten Bienenvölker in Mauernischen gut überwintern, wenn sie nicht die Waben als Isolierung verwenden würden? Hätte Schiffer seine Versuche mit Waben und Bienen in der Beute machen können, so hätte er wohl ganz andere Ergebnisse erzielt.
  2. Eine artgerechte Bienenhaltung ist nur im natürlichen Habitat der Honigbienen, im hohlen Baum oder im von Schiffer entwickelten „Schiffertree“ möglich.
    Wildlebende Bienenvölker wohnen überwiegend in hohlen Bäumen. Sie werden aber ebenso in Hohlräumen in Mauern, in Dächern oder an anderen wettergeschützten Orten gefunden. Ob der Wohnraum zylinderförmig, rechteckig, schmal und hoch oder breit und niedrig ist spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für die Bienen ist, dass sie sich vor Wind und Wetter und vor Feinden schützen können. Alles andere regulieren sie mit dem Wabenbau. Es gibt eine größere Population an imkerlich betreuten Bienenvölkern in ganz gewöhnlichen Magazinbeuten in Wales, die schon sehr lange ohne Varroabekämpfung gehalten wird und trotzdem gesund bleibt.

    Es ist eben ein Irrtum zu glauben, das natürliche Habitat der Honigbienen betreffe nur ihre Wohnung. Im Gegenteil – die Umgebung, die Trachtpflanzen im Umkreis von mehreren Kilometern und das Kleinklima am Standort spielen eine entscheidende Rolle. Wenn die Bienen über viele Wochen im Sommer ein schlechtes Nahrungsangebot haben oder verschiedenen Pestiziden ausgesetzt sind, verschlechtert sich das Habitat massiv.

Auch die anderen angeführten Punkte entsprechen meiner Ansicht nach nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, denn:

  • Wir Imker/Innen versuchen, eine gute Entwicklung unserer Völker zu erreichen. Das ist nur möglich, wenn die Bedürfnisse der Bienen erfüllt werden und nicht durch unnatürliche Manipulationen.
  • Auch in der freien Natur kann es unter bestimmten Umständen große Bienenvölker geben. Pfefferle berichtete einst von einem Bienenvolk mit über einem Meter langen Waben und 80 kg Futtervorrat, das er in einem hohlen Baum vorfand.
  • Wildbienen und Honigbienen konkurrieren sich kaum. Dafür sorgen die unterschiedliche Lebensweise und das unterschiedliche Sammelverhalten dieser Insektenarten.
  • Ohne imkerliche Maßnahmen sterben weit mehr Völker als mit imkerlichen Maßnahmen.
  • Auch wildlebende Bienenvölker sterben als Folge von Varroabefall.

Meine Folgerungen aus der Auseinandersetzung mit den „Erkenntnissen“ von Torben Schiffer Sie spiegeln auch die Meinung vieler Imkerinnen und Imker wieder.

  • Wir möchten Imkerei weiterhin so betreiben, wie sie sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat, nämlich als eine Symbiose von Tier und Mensch zum gegenseitigen Nutzen. Dabei bieten wir den Bienen eine Wohnung und Unterstützung in schwierigen Situationen. Diese Unterstützung lässt sich in modernen Beutensystemen mit beweglichen Waben leichter und bienenschonender handhaben als im Stabilbau. Als Gegenleistung können wir wunderbare Bienenprodukte ernten, die als gesundheitsfördernde Nahrungsmittel eine große Bedeutung haben.
  • Um das natürliche Habitat zu verbessern setzen wir uns für eine positive Veränderung der Landschaft ein. Das hilft Honigbienen und Wildbienen gleichermaßen.
  • Gute Imker/Innen greifen kaum in die Entwicklung der Bienenvölker ein. Manipulative Eingriffe sind nicht nötig.
  • Wir selektieren unsere Bienen vorwiegend nach natürlichen Kriterien. Die Selektion erfolgt auf Gesundheit und Fleiß (Kriterien der Natur), aber auch auf Schwarmträgheit und Sanftmut. So ist es möglich, ohne viele Eingriffe die Völker zu betreuen. Für diese Selektion wird die eine oder andere Königin abgedrückt, das ist keine angenehme Tätigkeit. Sie ist aber viel bienenschonender und humaner, als einfach das ganze Volk sterben zu lassen.
  • Durch gute Bienenpflege und Selektion beträgt die Verlustrate oft weniger als fünf Prozent, während bei der Haltung im Schiffertree jährlich etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Kolonien elendig zugrunde gehen, weil sie keine imkerliche Hilfe bekommen. Mir kommt die Aufforderung, Bienen im Schiffertree zu halten, fast so radikal vor, wie wenn man z.B. von einem Schafhalter fordern würde, seine Tiere nicht zu scheren, sie frei in der Natur wohnen zu lassen und sie auch im Winter nicht zu füttern.

Die betreuten Honigbienen bei uns in Mitteleuropa sind weder reine Haustiere noch reine Wildtiere. Sie werden von uns in Beuten gehalten, müssen ihre Nahrung aber in der freien Natur suchen. Es ist wertvoll, dass es Bestände an wilden Bienenvölkern z.B. im Uralgebirge gibt. Ich möchte diese mit den wilden Populationen an Bisons oder Wolfsrudeln im Yellowstone Nationalpark vergleichen.

Torben Schiffer sollte sich wieder auf seinen eigentlichen Forschungsauftrag besinnen und die wildlebenden Bienenvölker in ihren natürlichen Habitaten beobachten und erforschen. Seine großteils unberechtigte Kritik an der Imkerei hätte er sich sparen können!

Gerhard Mohr

Buchtipp:
„Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner“
Von Ingo Arndt und Jürgen Tautz

Ein großartiges Buch mit tollen Bildern, das die Lebensweise wilder Bienenvölker im Wald beschreibt.

Artikel Torben Schiffer:
„Der wahre Preis des Honigs – Artenschutz für Honigbienen“

Wenn ihr Meinungen zu Torben Schiffers „Schiffertree“ lesen wollt anbei drei Links:

Stefan Mandl, Präsident OEIB
Torben Schiffer, ein sympathischer Querdenker!

Bernhard Heuvel, Vizepräsident DBIB
Bienenretter auf dem Holzweg. Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Roland Sachs:
Juli 4, 2020 von Roland Sachs
Bienenbeute Schiffer Tree für eine „Revolution in der Bienenhaltung“